Mehrere Jahrzehnte stand ein großer Walnussbaum im Waldgarten des Café Botanico.
Am 27. Juni 2023, nach heftigem Sturm, Gewitter und Regenschauern, hielten ihn seine Wurzeln nicht länger im aufgeweichten Erdreich. Doch seine Geschenke sind nicht verloren.
Wir erinnern uns mit Freude an den Schatten, den der Walnussbaum an heißen Sommertagen spendete. An die zahlreichen, knackigen Nüsse im Herbst und das sanfte Rascheln der Blätter im Wind.
Als der Baum an einem Juni-Tag mit lautem Getöse umstürzte, dankbarerweise erst nachdem die letzten Gärtner*innen gegangen waren, richtete er so gut wie keinen Schaden an.
Seine reichlich belaubte Krone hatte gerade so den Geräteschuppen verfehlt. Das Blätterdach begrub einige Beete und die Zugangswege, erdrückte einige größere Gemüsepflanzen unter seinem Gewicht. Doch mehr war nicht passiert.
Der Tag danach
Schon am nächsten Tag kam ein Baumfäller zu Hilfe, um den umgestürzten Riesen professionell zu zersägen. Dabei trennte er den massigen Stamm von seinem Wurzelballen, den die Schwerkraft aus der Erde gehoben hatte.
Neben alten Backsteinen kam allerhand Lebendiges zum Vorschein: da hingen auch Würmer, Käfer und Spinnen in der Luft.
Den ganzen Tag über halfen viele Freiwillige mit, die unreifen Walnüsse einzusammeln, Geäst zu entfernen und die Wege wieder begehbar zu machen. Zum Schluss fand wirklich alles vom Baum eine Verwendung.
Unreife Nüsse
Wie jedes Jahr im Juni war der Walnussbaum mit reichlich grünen, noch unreifen Walnüssen bestückt. Diese gehen jedoch nicht verloren: Ein Rezept für „Schwarze Nüsse“ lässt uns diese reiche Gabe für eine schmackhafte Speise weiterverwenden.
Der Zeitpunkt war nahezu perfekt, denn laut Rezept sollten die Nüsse um den 20. Juni herum geerntet werden. Es ist der Zeitpunkt, an dem die Nüsse schon fest sind, aber im Kern noch keine harte Schale gebildet haben.
Seitdem liegen die Nüsse in großen Bottichen in Wasser eingeweicht. Später werden sie für ein halbes Jahr in Zuckersirup eingelegt. Die Prozedur zur Herstellung der „Schwarzen Nüsse“ ist zeitaufwendig, aber lohnend. Und endlich zu Weihnachten werden wir alle von den leckeren Köstlichkeiten naschen können.
Gaben der Natur
Eine gewaltige Kraft hat am Stamm gezerrt und die Wurzeln samt Boden entblößt. So offenbart soll das Wurzelwerk liegenbleiben, um fortan den Bodenlebewesen und anderen Tieren des Gartens als Versteck, Nistplatz und Futterstelle zu dienen. Auf diese Weise bleibt der Baum weiterhin mit seinem Geburtsort verbunden und bewahrt seinen Nutzen auf vielfältige Weise.
Der massive Stamm aus wertvollem Nussholz wurde in Scheiben zersägt, von denen einige als Serviertabletts in den Service des Café Botanico wandern.
Ein großer Teil wird jedoch von einem Berliner Instrumentenbauer zu Geigenbögen verarbeitet, mit denen ein ganzes Berliner Orchester ausgestattet werden soll, dem auch die Ehefrau von Café-Botanico-Inhaber Martin Höfft angehört.
In der Benjeshecke (bekannter als Totholzhecke) bekommen die zahlreichen, belaubten Zweige aus der Krone des Baums ein zweites Leben. Grob zerkleinert am Grenzzaun aufgeschichtet, bietet das natürliche Konstrukt Insekten, Amphibien, Igeln und auch Wildpflanzen neuen Raum zum Ansiedeln. Sie ergänzt die bereits existierende permakulturelle Wildniszone des Waldgartens und wertet sie gehörig auf.
Bienen in Aufruhr
Ganz in der Nähe vom umgestürzten Walnussbaum stehen zwei Bienenbeuten. Deren Bewohner waren von dem ganzen Getöse der elektrischen Sägen, dem Knacken der Zweige und dem Gewusel der Gärtner*innen ordentlich irritiert.
Als Eindringlinge empfundene Helfer*innen wurden von ihnen zahlreich und energisch umschwirrt.
Wenn man einmal den Unterschied zur friedlich summenden Biene gehört hat, die bloß auf der Suche nach einer neuen Blüte ist, wird man sich wohl nie wieder vor ihr fürchten, denn der Klang einer wütenden Biene ist ganz anders: durch eine schnellere Frequenz ihrer Flügelschläge teilt sie ihren Ärger als deutlich höher klingenden Summton mit.
Versteht man ihre Sprache, kann es gelingen, sich vor dem schmerzhaften Stachel der Biene in Sicherheit zu bringen, bevor sie ihn einsetzt.
Aufarbeitung
Fast einen Monat später trafen sich nun die Gärtner*innen des Café Botanico erneut unter der liegenden Baumkrone.
Mit ihren Ästen, die sich in den Boden gebohrt haben, wirkt die Krone wie ein Spinnentier, das sich über die Beete stützt. Die natürliche Skulptur soll noch lange an die reichen Gaben des Walnussbaums und seine stolze Größe erinnern.
Weil sich aber so manche*r Gärtner*in bei der Arbeit den Kopf an dem nun niedrig hängenden Geäst stieß, fiel der Entschluss, die Beete und Wege neu zu strukturieren, damit es alle leichter haben.
Zu siebt begingen wir als erstes das Areal, probierten verschiedene Wege aus, auf denen wir in Zukunft gut vorankommen und gleichzeitig bequem arbeiten wollen. Schnell hatten wir uns auf eine Struktur geeinigt und legten los, die Vision aus unseren Köpfen umzusetzen.
Wir sammelten Steinplatten der bestehenden Wege und Begrenzungen der Beete ein, markierten die neuen Wege, buddelten zu erhaltende Pflanzen aus und sicherten sie in der Schubkarre.
Anschließend trugen wir die Erde ab und schichteten sie anderswo wieder auf, bis sich nach gut vier Stunden die neue Wege- und Beete-Struktur abzeichnete. Alte und neue Pflänzchen wurden (wieder) eingesetzt und mit ausreichend Wasser und Komposterde versorgt.
Nun liegen die Beete unter dem schützenden Geäst des Walnussbaums, eingerahmt von Wegen, die daran entlang führen, statt wie zuvor darunter hindurch, was uns die Arbeit erheblich erleichtert.
Rätsel der Natur
Manchmal gibt uns die Natur neue Rätsel auf. In diesem Fall war es die Frage: Wie machen wir das Beste daraus, dass uns der lange Jahre treue Walnussbaum vor die Füße gefallen ist?
Die Gaben waren reichhaltig. Zahlreiche Begegnungen mit Bienen, Kröten, Spinnen, Asseln und Würmern zeigten uns zudem ganz deutlich die Vielfalt, die sich weiterhin in diesem Waldgarten tummelt.
Und auch wenn es schade um diesen einen Baum ist, so hat sein Fall doch kein großes Loch in das Lebensnetz gerissen, sondern viele Nischen mit neuem Leben gefüllt. Durch die Ernte von Holz und Nüssen genauso wie durch die Gemeinschaft und Freude beim gemeinsamen Tun der Gärtner*innen.
Nachtrag Januar 2024
Für begrenzte Zeit steht Kandierte Walnuss in Gewürzsirup, mit Ziegenkäse, sizilianischer Bergamottemarmelade und Kräutern auf der Speisekarte des Café Botanico.
Lies mehr über dieses außergewöhnliche Restaurant:
Der Waldgarten des Café Botanico
2. August 2024
Liebe Isabel,
dein Beitrag „Der Fall der Walnuss“ hat mich tief berührt und zum Nachdenken gebracht. Du hast es geschafft, eine einfache Walnuss in eine wundervolle Metapher über das Leben und die kleinen Wunder des Alltags zu verwandeln. Danke, dass du deine Gedanken so ehrlich und inspirierend mit uns teilst!
24. September 2024
Vielen Dank für diesen schönen Kommentar. Es freut mich sehr, dass Dich der Beitrag berührt hat.